Glück und Freude
von Henry Thomas Hamblin

Im tiefsten Herzen schlummert bei jedem von uns ein unersättlicher Wunsch nach Lebensglück.

Die fortgeschrittene Seele wünscht sich Glück ebenso wie der mondäre Freudensucher. Der einzige Unterschied besteht lediglich darin, dass der Erstgenannte aufgrund seines Wissensstandes und seiner Lebenserfahrung dem Glück nicht nachläuft, weil er bereits weiß, dass er das Glück niemals einholen kann, wenn er es auf direktem Wege zu erreichen versucht. Es ist ihm klar, dass er das Glück nur auf dem Wege des Dienens, des Nutzenbietens und der Nächstenliebe finden kann und dass er sich dabei selbst zu bezwingen hat.

Der oberflächliche Freudensucher jedoch sucht das Glück in jeder Form des Vergnügens und wird hierbei niemals fündig.

Mit seinem Leben ist der Mensch nie zufrieden; stets sucht er nach etwas Besserem.

Solange er die Weisheit noch nicht erreicht hat, sucht er dieses Bessere im Vergnügen, in der Befriedigung der Sinne, in materiellem Reichtum, im Luxus.

Je unentwickelter der Mensch ist, umso überzeugter ist er, dass das Glück in äußeren Dingen zu finden sei. Je niedriger die Entwicklungsstufe des Menschen, umso grobschlächtiger sind seine Wünsche und Begierden.

So lässt sich beobachten, dass Menschen, die in den einfacheren Gegenden unserer Städte leben, das Glück oftmals bei lasterhaftem Treiben oder bei Ausschweifungen suchen; höher entwickelte Zeitgenossen suchen das Vergnügen in feineren Dingen, in der Hoffnung, das Glück möge sich ihnen bei intellektuellen Beschäftigungen oder auf der Ebene rein menschlicher Freundschaften und Liebeleien zeigen.

Die höchstentwickelten Menschen ziehen zwar mehr Freude aus sinnlichen Erlebnissen, sind jedoch auch anfälliger für Leiden. Dieser Personenkreis kann aus dem Besuch einer Gemäldegalerie viel Freude ziehen, während der schlichtere Zeitgenosse in einem solchem Umfeld nichts Interessantes zu entdecken vermag. Andererseits kann dieser Kreis auch aufgrund von Ereignissen oder Umständen leiden, die der Grobschlächtigte mit einem Schulterzucken abtut.

Bei aller Verfeinerung der sinnlichen Aufnahmefähigkeit und auch der Fähigkeit, aus den Bereichen der Kunst, Wissenschaft oder Literatur Freude herausziehen, hält sich das Glück dennoch ebenso fern wie ehedem.

Alle Versuche, das Glück auf diesem Wege zu finden, führen ins Leere.

Weder der Reichtum noch das, was damit gekauft werden kann, bringt die ersehnte Befriedigung.

Anfänglich schmeicheln diese Errungenschaften und scheinen Glück zu versprechen, aber sie sind trügerisch. Letztendlich entpuppen sie sich als irreführend und bringen dem Geist nichts.


Der Wunsch nach Glück ist etwas Gutes; immerhin verschafft er uns eine Fülle von Erfahrungen, und die Seele lernt aufgrund der praktischen Erfahrungen, dass alles egoistische Trachten zur Leere führt.

Nachdem die Seele diese Erfahrungen durchlaufen hat, lernt sie schließlich, dass das Glück nicht etwas ist, das im Außen gefunden werden kann. Es ist ein innerer Geisteszustand.

Sicherlich vermag eine gut erledigte Arbeit Befriedigung zu verschaffen und der berufliche Erfolg kann kurzzeitig ebenso aufbauend wirken, doch die tieferen Sehnsüchte der Seele können auf diese Weise nicht befriedigt werden.

Das Glück ergibt sich aus dem Dienen, allerdings stellt es sich nicht ein, wenn wir es im Dienen suchen!

Wenn wir nur mit dem Hintergedanken auf erhofftes Glück dienen, wird es fernbleiben. Wenn wir jedoch um des Dienens willen dienen, stellt es sich dauerhaft bei uns ein!

Wir brauchen uns nur anzusehen, wie es jenen ergeht, die nur ihren Eigennutz verfolgen und alles an sich raffen, dessen sie habhaft werden können. Diese Menschen sind anspruchsvoll und sehen nur auf ihren eigenen Vorteil, doch glücklich werden sie dabei nicht!

Egal, ob sie zu Reichtum gelangen oder nicht, sie bleiben in jedem Falle unglücklichliche Menschlein.

Ein anderer, der seinen Eigennutz beiseite lässt und etwas Gutes tut, wird dagegen sofort spüren, dass er sich glücklicher fühlt. Dies zeigt, dass wir es hier mit einem Lebensgesetz zu tun haben, das ebenso sicher wirkt wie das Gesetz der Erdanziehung.


Im Leben muss es einen Sinn geben. Dieser Sinn muss sich auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse unserer Mitmenschen richten, seien diese viele oder wenige.

Das Gebot des Dienens ist permanent anzuwenden; nur so kann es Glück geben!

Das mag jene desillusionieren, deren Beruf offensichtlich niemandem einen Dienst erweist. Vielleicht glauben diese Personen, dass man einer noblen Beschäftigung nachzugehen habe, um der Menschheit wirklich zu dienen. So verständlich eine solche Denkweise auch ist, mögen diese Menschen bedenken, dass sich  ein jeder von uns nach dem Gebot des Dienens richten kann und dass man damit sofort beginnen kann. Die berufliche Sparte spielt dabei keine Rolle.

Es reicht aus, unser Tagwerk nicht mechanisch als Mittel zum Broterwerb zu verrichten, sondern mit einer Haltung der Liebe zum Leben und zur Welt, um uns auf diese Weise mit dem Gebot des Dienens in Einklang zu bringen.

Eine Treppe zu putzen, ist - wenn diese Tätigkeit bewusst und mit einer Einstellung des Dienens verrichtet wird - ebenso wertvoll wie das Verfassen eines Gedichts. Wir können niemals sagen, dass diese oder jene Tätigkeit die wertvollere sei. Wenn der Beweggrund rechtschaffen ist, ist auch die einfachste Tätigkeit ein Akt des Dienens und der Betreffende kann glücklich sein, weil er dem Gebot des Dienens Folge leistet.

Ein weiterer Weg, der uns zum Glück führt, ist die Überwindung der niedrigen Natur; die Meisterung der eigenen Schwächen; die Persönlichkeitsentfaltung.

Man fühlt sich glücklicher, wenn man unliebsame Gewohnheiten abgestellt oder Charakterschwächen ausgebügelt hat.

Gott-sei-Dank braucht keiner dort zu verweilen, wo er sich jetzt befindet, sondern ein jeder von uns kann sich ständig weiterentwickeln, ohne dass ihm bei seiner Weiterentwicklung irgendwelche Grenzen gesetzt seien.

Höher noch als das Glück ist die Freude zu bewerten. Das Glück erreichen wir über das Dienen und Bieten, doch die Freude erreicht nur der, der sich eins mit dem einzigen Bewusstsein weiß.

Dieser Mensch hat den spirituellen Bereich betreten.

"Was hat dies nun mit dem praktischen Leben zu tun?", mag sich der ein oder andere fragen.

Sehr viel!

Wer diese innere Freude erreicht hat, kann im Lebenskampf nicht bezwungen werden. Dieser Mensch trägt etwas in sich, das nicht zum Erlöschen gebracht werden kann und das ihm einen Erfolg nach dem anderen beschert.


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