Sexuelle Liebe in der
Superehe



Kapitel 1 - Einleitung




Allgemeine Geschlechtsphysiologie

Die Ehe - zumal in den westlichen Ländern - versagt oft. Sie kann durchaus zu einem irdischen Paradies führen - sie wird manchmal eine richtige Hölle. Ein Purgatorium, eine Läuterungsstätte, die sie immer bilden sollte, ist sie nur allzu selten.

Soll man die Ehe deshalb verwerfen?

Viele Stimmen haben sich zu diesem Zweck erhoben, aber Besseres anzugeben haben sie nicht vermocht.

Unendlich größer ist übrigens die Zahl derjenigen, die an der alten Institution festhalten wollen.

Die Gründe dafür sind vielschichtig, ich selbst erblicke in der Dauergestalt der monogamen Liebesverbindung ein Evolutionsergebnis des Geschlechtstriebes, das den Egoismus dieses Triebes in weitestgehendem Maße in Altruismus umsetzt und bekenne ich zur Ehe.

In der Ehe wird viel gelitten.

Ohne die Ehe aber wäre noch weit mehr Leid zu ertragen.

* * *

Wo wir also an der Ehe festhalten, fragt es sich, ob wir das Manko an Glück und das große Elend, das wir ihr in vielen Fällen vorzuwerfen haben, gleichmütig hinnehmen wollen, oder ob wir versuchen werden, Abhilfe zu schaffen.

Kein Mensch, der wie der Arzt - inbesondere der Sexologe und der Frauenarzt - in der Lage sist, oft hinter die Kulissen des Ehelebens zu blicken, wird mit seiner Antwort auch nur einen Augenblick zögern.

Es muss alles darangesetzt werden, um die Aussicht auf dauerhaftes Glück in jeder erdenklichen Weise zu verbessern.

Die vier Eckpfeiler für das Gebäude von Liebe und Glück in der Ehe sind:
  • Eine richtige Partnerwahl.

  •     Eine gute psychologische Einstellung der Partner überhaupt und zueinander insbesondere.

  •     Eine den Wünschen des Paares entsprechende Lösung der Progeniturfrage.

  •     Ein harmonisches und blühendes Geschlechtsleben.
Über die Partnerwahl kann man bei jedem ernstzunehmenden Autor Vernünftiges nachlesen.

Ich brauche das oft Gesagte also nicht zu wiederholen, wenngleich ich bedaure, dass die guten Ratschläge immer noch zu wenig beachtet werden und dass die Mehrheit der Menschen immer noch ohne Partnerwahl, sondern vollkommen blindlings tappend in die Ehe hineingeht. Immerhin gibt es so gut wie nichts, das das Konto einer Ehe von vorneherein und dauerhaft so sehr belastet wie ein derartiger Fehler.

Die Psychologie der Ehe gehört ebenfalls nicht zum eigentlichen Thema dieser Abhandlung.

Ich empfehle den Interessierten das Studium der vorzüglichen Bücher von Löwenfeld "Über das eheliche Glück" und Thassilo von Scheffer "Philosophie der Ehe".

"Die Ehe ist Forderung und Hingabe in einem; wenn sie aber blühen soll, muss der Selbstlosigkeit ein breiter Raum gewährt werden", schrieb Th. von Scheffer. "Sie ist vielleicht der größte Erziehungsfaktor in der Schule des Lebens, und wie in allen Schulen, ist auch die des Lebens kein leichtes Spiel."

Ihre größte Gefahr ist die Langeweile und die damit eintretende Entfremdung, durch welche die Frau - gänzlich auf die Ehe eingestellt, während der Mann als Hauptinteresse seine Arbeit hat - wohl am schwersten leidet.

"Die intellektuelle und moralische Verlassenheit, in welcher der Mann die Frau lässt, ist unendlich schmerzlicher und peinlicher als der Despotismus, die Gewalttätigkeit, die Brutalität, gegen welche sich die öffentliche Meinung so entschieden aufbäumt. Denn diese sind sichtbare, grobe, oft nur zeitweise bestehende Übel, gegen welche gerade die erwähnte Reaktion der öffentlichen Meinung schon ein wenig Trost bringt, während die Verlassenheit ein  unsichtbares, unfassbares Elend bildet, das jede Abwehr unmöglich macht, aber jede Stunde des Tages und jeden Tag des Lebens vergiftet, weil es ein Nichts ohne Hoffnung, ohne Aussicht, bedeutet, und weil die Entmutigung, die aus ihr hervorgeht, mit den Jahren schlimmer wird und schwerer zu ertragen ist als jedweder heftige, aber vorbeigehende Schmerz" (Gina Lombroso).

"Der Mann sollte es sich zur Pflicht machen, die Frau an seiner Arbeit teilnehmen zu lassen, sich für ihr Leiden zu interessieren, ihrer Aktivität Führung zu geben, ihre Unsicherheit zu beheben" (G. Lombroso).

In diesem Sinne haben sich viele andere Menschen ausgesprochen, zum Beispiel auch Albert Moll, der schon in der ersten Auflage (1912) seines "Handbuchs der Sexualwisschaften" sagte: "Gerade, wenn es möglich ist, dass die Frau als kluge Gefährtin dem Manne bei seiner Arbeit zur Seite steht, wird hierdurch das innere Band der beiden Eheleute außerordentlich gefestigt. Vielleicht hängt damit zusammen, dass wir bei kleinen Kaufleuten, wo die Frau gelegentlich dem Manne im Lade hilft, und auch bei kleinen Handwerkern, wo die Frau bisweilen den Mann bei diesem und jenem unterstützt, verhältnismäßig glückliche Ehen finden."

Ich stimme derartigen Auffassungen mit voller Überzeugung bei, möchte nur hinzufügen, dass die Frau auch viel zur Verhütung der fatalen ehelichen Langeweile beitragen kann, wenn sie ihrerseits an Angelegenheiten, für die sich die Teilnahme ihres Mannes zu erwecken vermag, Interesse zeigt.

Hat die Frau zum Beispiel ein gutes Buch gelesen, eine Reisebeschreibung studiert, einen Vortrag angehört und versteht sie es, ihrem Partner davon auf fesselnde Art zu erzählen, so wird sie manchmal seine Gedanken in wohltuender Art und Weise von der Arbeit, den Geschäften, Ärger und Sorge ablenken können. Voraussetzung ist natürlich, dass der Mann den Erzählungen seiner Frau Verständnis entgegenbringt.

Gerade bei solchen relativen Kleinigkeiten, die im Leben doch so ungemein wichtig sind, weil sie Stimmung erwecken oder verderben, ist es der Takt, welchen beiden Partnern den richtigen Weg zeigen muss.

Wenn es auf die angedeute Weise gelingen kann, die immer drohende geistige Entfremdung der Partner zu vermeiden, bleibt das wirksamste Mittel doch ein zusammen gehegtes Interesse für irgendetwas, das beide gleichermaßen fesselt.


Welches Interesse könnte die Eheleute stärker fesseln, als die Liebe und Sorge für die gemeinsam erzeugten Kinder?

Kinder bilden das stärkste Band in einer normalen Ehe. Allerdings ist die Lösung des Problems der Progenitur nicht immer einfach. Niemand weiß das besser als der Frauenarzt. Begegnet er doch auf Schritt und Tritt den Unglücklichen, die die eine enttäuschte Hoffnung auf die andere folgt, weil ihnen der Kinderwunsch versagt bleibt.

Sieht er doch jeden Tag hinein in ein Schlafzimmer, das vom Ehemann aus Furcht vor den Folgen gemieden wird; kennt er so manches Ehebett, in dem die Ehefrau nur mit Bangen und Beben ihren sonst so geliebten Mann erwartet; weiß er doch, wie viele Ehen einzig und allein aus Angst vor Schwangerschaft in die Brüche gehen.

Die Besprechung dieser, für das eheliche Glück äußerst wichtigen Probleme gehört gewiss zu der Aufgabe, die mir gestellt habe.

Allein sie setzt die Kenntnis der Lebensverrichtungen der Geschlechtsorgane voraus. Deshalb soll ihr in diesem Buch die Physiologie der Ehe vorhergehen.

Dies bringt mich zum eigentlichen Gegenstand der vorliegenden Arbeit:

Ein harmonisches, blühendes Geschlechtsleben habe ich als den vierten Eckpfeiler für das Gebäude des ehelichen Glücks erwähnt.

Dieser Eckpfeiler soll stark und gut gefügt sein, denn er hat einen Großteil der Gesamtlast zu tragen.

Leider ist er aber in den meisten Fällen schlecht fundiert und aus morschem Material ausgeführt. Kein Wunder, dass der ganze Bau bald wieder einstürzt!

Den meisten Eheleuten fehlt es an der Kenntnis der Elemente des Geschlechtslebens. Diesem Mangel will ich abhelfen und wende mich dabei an die Ärzte und Ehemänner.

An die Ärzte, weil sie auch in diesem Bereich die Berater der Eheleute sein sollten.

An die Ehemänner, weil es ihnen häufig nicht nur an den richtigen Führungseigenschaften mangelt, sondern sogar an den Qualitäten eines guten Partners.

Sie haben von ihrer Unvollkommenheit keine Ahnung. Denn der Mann, welcher, mit einer hohen Potenz begabt, seine "ehelichen Pflichten" regelmäßig in für ihn physiologischer Weise erfüllt, meint, damit alles geleistet zu haben, was seine Frau von ihm verlangen kann.

Und wenn sie nicht befriedigt ist und auf Dauer unbefriedigt bleibt, reiht er sie - seufzend oder ungehaltet, je nach seiner Art - in die Kategorie der "geschlechtskalten" Frauen ein, beklagt sich über sein Pech und entfernt sich immer mehr von ihr. Hat er das Glück gehabt, eine eher temperamentvolle Frau zu ehelichen, so schleicht sich nach einigen Jahren, bei dem sich immer gleich gestalteten Genuss, die sexuelle Langeweile des Mannes ein, welche das eheliche Glück ebensosehr gefährdet, denn die Langeweile lässt sich nur durch Abwechslung beheben. Die Abwechslung scheint dem Manne nur im Objekt möglich - und schon ist die Entfremdung wieder da.

Der Gedanke, dass das Versäumnis bei ihm liegen könnte, dass er es sei, der imstande gewesen wäre, der auch von ihm tief bedauerten Entfremdung vorzubeugen, kommt bei ihm gar nicht auf.

Er weiß eben nicht, dass es unzählige, durchaus innerhalb der Schranken dees Normalen bleibende Varianten des Geschlechtsgenusses gibt, welche die Langeweile des Gewohnheitsmäßigen aus dem Ehebett fernhalten können, weil sie den Beziehungenn zwischen den Partnern immer wieder neue Reize verleihen.

Sollte er wider Erwarten dennoch etwas ahnen, so hält er es für eine Ausschweifung, nicht verstehend, dass alles, was physiologisch ist, auch als sittlich erlaubt betrachtet werden darf.

Er - der Durchschnittsehemann - weiß nicht einmal, dass die Geschlechtsbefriedigung der Frau nicht denselben Verlauf aufweist wie bei ihm: Er hat keine Ahnung davon, wie das Gefühl seiner Partnerin erst in schonender und entgegenkommender Weise erweckt werden muss. Er kann es nicht fassen, weshalb die an die Rücksicht ihrer Männer gewohnten Hindufrauen die Europäer als "Dorfhähne" bezeichnen. Er hat kein Verständnis für die Mentalität des Javaners, der sich viel mehr des Genusses rühmt, den er bereitet, als dessen, den er erfährt.

Das Wesen der Don Juan-Figur versteht er völlig falsch.

Er möge Marcel Barrières "Essai sur le Don-juanisme contemporaine" lesen, damit es ihm klar werde, dass die Verführerseele nicht das niedrig-egoistische Nehmen und Wegwerfen sucht, sondern einzig und allein die Wonne des Befriedigens.

In diesem Sinne soll der Liebhaber ein Verführer sein, ein Verführer seiner Frau, jedesmal von Neuem.

Dann wird er, immer wieder Glück spendend, dauernd Glück empfinden und seine Ehe wird seine Superehe sein!

Dazu braucht der Mann Kenntnisse; er muss Bescheid wissen.

Die folgenden Abschnitte dieses Buches können ihm dazu verhelfen.

Teilweise werden sie auch vom Laien ohne Schwierigkeiten gelesen werden können. Andere Passagen wollen studiert werden. Denn meine Ausführungen sollen, wenn ich sie auch von überflüssiger Gelehrtheit freihalten will, einen durchaus wissenschaftlichen Charakter tragen.

Dies, und die Art des Stoffes, bringen es mit sich, dass manche Fremdwörter und Fachausdrücke nicht vermieden werden können.
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Gina Lombroso (1872 - 1944) war eine italienische Wissenschaftlerin, Ärztin und Schriftstellerin.


Marcel Barrière (1860 - 1954) war ein französischer Romanschreiber und Essayist.


Progenitur = Nachkommenschaft