Sexuelle Liebe in der
Superehe



Kapitel 2 - Teil 2




2. Geschlechtsgefühle und äußere Reize

Wie die "inneren Reize" in somatische (Sekretionswirkung, Anfüllung von bestimmten Körperhöhlen und Ausfuhrgängen, von Blutgefäßen) und seelische (Vorstellungen, Erinnerungsbilder, Fantasien) unterschieden werden können, so lassen sich auch bei den "äußeren Reizen" solche erkennen, die vorwiegend körperlicher Natur sind, und andere, welche hauptsächlich dem psychischen Bereich angehören.

Ebensowenig aber wie eine derartige Unterscheidung bei den verschiedenen inneren Reizen durchführbar ist, weil sich diese gegenseitig stark beeinflussen, sind die beiden Arten von äußeren Reizen genau auseinanderzuhalten. Können doch schon die, welche rein psychischer Natur sind, nicht anders als durch Vermittlung unserer Sinnesorgane zu uns kommen.

Dennoch ist es zweckmäßig, sie, soweit es angeht, gesondert zu betrachten.


Fangen wir bei den seelischen Eindrücken an, die geeignet sind, auf die Sexualsphäre einzuwirken, so sehen wir, dass alle Naturereignisse, welche Veranlassung zu Angst und Furcht geben, erregend auf die Geschlechtsgefühle einwirken können.

Teilweise lässt sich das erklären durch den Wunsch, sich in Gefahr einem Mitgefährdeten, womöglich einem Stärkeren, anzuschließen - ein Wunsch, der die Frau dazu treibt, Schutz bei dem Mann zu suchen, während der Mann seinerseits einen Drang hat, die Schwächere zu beschützen - aus welchen Gefühlen dann alsbald eine Reizung des Geschlechtsannährungstriebs resultiert.

Die Erklärung dieser Erscheinung liegt jedoch zweifelsohne nicht allein dort; denn auch ohne Möglichkeit der Beteiligung des Schutzfaktors können Angst verursachende Naturereignisse geschlechtlich erregend einwirken, was sich bisweilen bei Masturbanten deutlich erkennbar macht.

Ob sich dabei auch unbekannte Einflüsse rein physikalischer Art, infolge von atmosphärischen Störungen, z.B. durch Einwirkung auf die Gehirntätigkeit, geltend machen, lässt sich nicht sagen. Doch gibt es zu denken, dass es vorzugsweise das Gewitter ist, welches geschlechtlich erregend wirkt, und das zwar schon dann, wenn es noch im Anzug ist, also bevor die Furcht vor Blitz und Donner mitspielt.

Immerhin, nicht nur die Furcht kann in sexueller Hinsicht reizen, auch der Kummer vermag es. Dabei gibt es selbstverständlich wieder verschiedene Momente: die Neigung, Trost zu suchen oder zu spenden, das geteilte Leid, das zwei Menschen einander näherbringt, der unbewusste Versuch, die Gedanken vom Kummer abzulenken.

Dennoch ist gewiss auch ein wesentlicher Bestandteil in dieser Verbindung von Kummer und geschlechtlicher Erregung enthalten, was jeder, der auf solche Fragen achtet, gelentlich bei sich selbst und bei anderen beobachten kann. Eine Erklärung dieser Erscheinung wird wohl damit zusammenhängen müssen, dass Störungen des seelischen Gleichgewichts imstande sind, die gewöhnlichen Hemmungen zu beeinträchtigen, und dadurch den Urtrieben Gelegenheit bieten, sich in stärkerem Maße als sonst bemerkbar zu machen.

Andererseits wirken Eindrücke, welche Angst, Furcht und Kummer zuwege bringen, wenn diese Affekte nur intensiv genug sind, stark dämpfend auf eine schon bestehende geschlechtliche Erregung ein, oder können es unmöglich machen, dass eine solche, selbst unter Einfluss von kräftigen örtlichen Reizen, zustande kommt. So kann es geschehen, dass eine sonst normal empfindende Frau unter dem hemmenden Einfluss solcher Eindrücke (z.B. aus Furcht vor Schwangerschaft) bei dem Coitus nicht zur Befriedigung gelangen kann, oder dass sich bei einem Mann eine bereits bestehende Erektion verliert.

Manchmal kann dies zu Unannehmlichkeiten Veranlassung geben. Der vernünftige und nachsichtige Mensch aber macht auch oft zu seinem Nutzen oder zum Glück seines Liebespartners davon Gebrauch, sei es nun, um seinen Annäherungstrieb in positiver oder negativer Richtung zu beeinflussen, sei es, um den Ablauf der geschlechtlichen Reaktion zu beschleunigen oder zu verlangsamen.


Diese etwas ausführlichere Beschreibung der Folgen soll Ihnen zeigen, wie Erregungen und Hemmungen, wie körperliche und geistige Empfindungen, wie äußere und innere physische Reize in- und durcheinanderlaufen, wie schwer sie oft zu unterscheiden sind, wie sie einander verstärken oder aufheben. Mit anderen Worten: wie ungeheuer verwickelt diese Dinge liegen.

Es würde zu weit führen, wollte ich auf derartige Zusammenhänge jedesmal eingehen wollen. Ich das also zu vermeiden versuchen und die Verhältnisse möglichst einfach darlegen. Der Leser sollte sich ihrer Kompliziertheit jedoch stets bewusst sein, auch in praxi.

Wer doch vergisst, dass die Wege des Geschlechtslebens im Labyrinth der Seele wohl zu den am meisten verschlungenen gehören, setzt sich mancher Täuschung und Enttäuschung aus.


Die Eindrücke, welche vom geistigen Geartetsein eines Menschen ausgehen, können imstande sein, auf die Sexualgefühle des anderen Geschlechts fördernd oder hemmend einzuwirken. Namentlich ist das der Fall, wenn sich ein spezifisch-geschlechtlicher Charakterzug in vorteilhafter Weise zeigt. So erweisen sich z.B. Ritterlichkeit und Mut eines Mannes fördernd, Feigheit hemmend für den Annährungsversuch einer Frau. Schamhaftigkeit, Züchtigkeit ziehen den Mann zum Mädchen hin, während ihn ein entgegengesetztes Verhalten eher abstößt.

Aber auch ungeschlechtliche geistige Eigenschaften oder Verhaltensweisen können in sexueller Hinsicht anziehend wirken. Die Hochachtung, die man für ein bestimmtes Mitglied des anderen Geschlechts empfindet, wird nicht selten die Basis für die Liebe. Bewunderung wirkt noch stärker und sogar in doppelter Richtung: der Bewundernde wird angezogen, der Bewunderte aber auch, woraus sich gleichzeitig auf die Rolle schließen lässt, welche die Eitelkeiten im Liebesleben spielt.


Neben den psychischen Eindrücken sind es die von den Sinnesorganen übermittelten Reize, welche die Geschlechter zueinander hinziehen. Und die Evolution von Annäherungstrieb zu Liebe vollzieht sich durch die Auswahl derjenigen Person des anderen Geschlechts, von welcher die am meisten geeigneten Eindrücke und Reize ausgehen ("Sexuelle Auswahl", in der Sprachwahl mancher Autoren).

Auch nach dieser Entwicklung verlieren die hier gemeinten Reize nicht an Bedeutung, sind sie doch zur Erhaltung der Liebe unbedingt notwendig, weil die immer wiederholte und die immer zu wiederholende Liebeswerbung nur durch ihre Vermittlung erfolgen kann.

"Aimer, c'est avoir du plaisir à voir, toucher, sentir pour tous les sens, et d'aussi près que possible, un objet aimable et qui nous aime." (1)


Ob dem Geschmack eine diesbezügliche Wirkung zugesprochen werden kann, wird generell bezweifelt. Jedenfalls ist sie nicht bedeutend.

Auch ist es im Allgemeinen oft schwierig, wenn nicht unmöglich, Geschmackseindrücke mit Sicherheit von den begleitenden Geruchsempfindungen zu unterscheiden.

Nichtsdestoweniger bin ich geneigt, den Geschmackssinn in Beziehung zur Liebe nicht als völlig belanglos zu betrachten. Selbstverständlich habe ich dabei nicht den Ausspruch im Auge, dass dei "Liebe durch den Magen geht" und ebensowenig die Tatsache, dass ein gemeinsam genossenes Abendessen, selbst wenn es alkohlfrei war, den Annährungstrieb der beiden Beteiligten oft in sehr wirksamer Weise zur Geltung bringt. Denn der Geschmackssinn hat bei diesen Verbindungen keine direkte Beziehung zu den Geschlechtsgefühlen.

Vielmehr denke ich an Erfahrungen, die erkennen lassen, wie gewisse Ausscheidungsstoffe (ich nenne als Beispiel den Speichel) eines geliebten Wesens durch ihren Geschmack auf den Partner eine reizende Wirkung ausüben können. Mitunter mag die dadurch verursachte Erregung sogar ziemlich bedeutend sein, doch hängt in dieser Hinsicht viles (vielleicht sogar alles) mehr noch von besonderen Eigenschaften der geschmackgebenden Substanz, von der Empfindlichkeit des Wahrnehmenden, ab, welche ja bei jeder Art von Reizen sehr ungleich ist, sowohl, was die verschiedenen Individuen betrifft, wie wo es sich denselben Menschen, aber zu verschiedenen Zeitpunkten, unter verschiedenen Lebensumständen, handelt.


Ich betone in diesem Zusammenhang, dass ich hier - sowie überall in diesem Buch - nur diejenigen Gefühle und Empfindungen in Betracht ziehe, die durchaus innerhalb der, übrigens weit auseinandergehenden, Grenzen des Normalen liegen. Krankhaftes oder Widernatürliches gehört in die "Physiologie der Ehe" nicht hinein, und die Superehe soll mit allen Kräften davon frei gehalten werden!


Der Gehörsinn scheint mir in seinen Beziehungen zu den Geschlechtsgefühlen bedeutend unterschätzt zu werden, denn das Tonreich bietet Menschen, die sowohl für Musik wie für Liebesgefühle empfindlich sind, geschlechtliche Reize ersten Ranges.

Kein solcher Mensch kann den Orchesterschwall des zweiten Aktes von Wagners "Tristan und Isolde" über sich hinbrausen sollen, ohne dabei sein Geschlechtsgefühl aufs Tiefste berührt zu wissen; keiner den Hochgenuss empfinden, Johann Strauß' "Gschichten aus dem Wienerwald" von einem erstklassigen Orchester gespielt zu hören, ohne dass der Kangboden seiner Sexualität mitvibrierte.

Immerhin nannte Shakespkeare die Musik "Liebesspeise"!


Einen vielleicht sogar noch größeren Faktor mag dabei der Rhythmus bilden, dem überhaupt in jeder Form eine primordiale Bedeutung für das Geschlechtsleben zukkommt.
Viel stärker als durch die Musik wird der Annäherungstrieb oft durch Gehörseindrücke gereizt, welche ein ausgesprochen persönliches Gepräge besitzten, namentlich durch die Stimme.

Die Klangfarbe der Stimme, die Intonation eines einzelnen Wortes - welches noch nicht einmal eine Bedeutung zu haben braucht - können in einem fast unglaublichen Maße als Liebesreiz wirken. Die gänzlich eigene Weise, in der eine Frau "Du" zu sagen versteht, mag genügen, um den Mann zu einer höchsten Liebesäußerung zu bringen oder seine Sehnsucht ins Unerträglich zu steigern. Dies gilt selbst dann, wenn ein solcher Laut telefonisch übermittelt wird.


Persönliche Eigenschaften sind in den Beziehungen zwischen Geruchssinn und Geschlechtsgefühlen von großer Bedeutung, und zwar sowohl was die Aufnahmefähigkeit für Gerüche betrifft, wie in Anbetracht der Erzeugung von Riechstoffen, wobei zu bemerken ist, dass im Allgemeinen beide bei der Frau wahrscheinlich größer sind als beim Mann.

Die individuelle Empfänglichkeit für Gerüche schwankt in weiten Grenzen. Es gibt Menschen, die für Gerüche nur wenig empfindlich sind. Viele Menschen haben von der Bedeutung des Geruchssinns für das Geschlechtsleben keine Ahnung und nehmen entsprechende Geruchseindrücke nicht bewusst wahr. In der Liebe entgeht diesen Personen dadurch ein genussbringender Reiz.

Es gibt aber auch Menschen, die einen viel besser entwickelten Geruchssinn haben. Das sind die so genannten "olfaktorischen Typen".


Ebenso verschieden, wie sie sich in der Aufnahmefähigkeit für Gerüche zeigen, sind die Menschen bei der Erzeugung eigener Riechstoffe.

Es versteht sich, dass unter diesem Namen nicht die Beigerüche verstanden werden können, welche durch Unreinlichkeit von Körper oder Kleidern, durch Austreten von Darmgasen, durch Verderbung der Atmungsluft infolge gewisser Speisen (Koblauch!) entstehen, welche allesamt eine den Geschlechtsannährungstrieb negativ beeinflussende Wirkung haben.

Noch wichtiger - weil noch abstoßender - sind die schlechten Gerüche, welche zu gewissen Krankheitszuständen gehören. Am schlimmsten wirken wohl jene, die sich der Ausatmungsluft beimischen, weil sie sich nicht verbergen lassen. Ein "schlechter Magen", kariöse Zähne, Nasenkrankheiten, können fatal werden.


Wie sehr jedermann seinen eigenen, für ihn charakteristischen Geruch hat, kann man am Verhalten des erstbesten Hundes beobachten. Er erkennt sein Herrchen oder Frauchchen am Geruch aus allen anderen Menschen heraus und folgt seiner Spur, auch wenn sie keinen sichtbaren Eindruck hinterlassen hat, ohne Zögern und ohne Fehler.

Auch Menschen haben die Fähigkeit, diese Eigengerüche zu empfinden, wenngleich dies bei uns Abendländern weniger ausgeprägt ist als bei den Orientalen und Südländern. Aber dennoch - ist nicht der aus der ganzen Haut, aus den Haaren des geliebten Wesens aufsteigende Eigenduft eine Quelle der Wonne? Versucht nicht der Liebende den ganz eigentümlichen, ihn völlig entzückenden Wohlgeruch des Atems der Geliebten immer wieder von Neuem zu aspirieren?


Die erwähnten Düfte erhalten, weil sie sehr schwach und zart sind, erst dann ihren Wert, wenn schon ein erheblicher Grad von Annäherung besteht. Dem Geruch des Schweißes kommt für den Erfolg dieser Versuche nicht selten eine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Er hat darüber hinaus einen stark persönlichen Einschlag. Außerdem ist er viel kräftiger als die übrigen erwähnten Gerüche. Und da er besonders in den Achselhöhlen erzeugt wird, lässt sich leicht verstehen, wie bedeutungsvoll er werden kann. Umso mehr, als es gerade hier um den Eindruck geht, der geeignet ist, gegebenenfalls sexuelle Antipathie hervorzurufen.

Bei nicht wenigen Frauen und Mädchen produzieren die Achselhöhlen eine Ausdünstung, welche alles andere als anziehend wirkt. Das Verhängnisvolle ist dabei, dass sie dies nicht wissen, weil ihnen der Geruch selbst nicht zu Bewusstsein kommt.

In relativ seltenen Fällen ist die Eigenart der Schweißsekretion so beschaffen, dass sie ohne Weiteres anziehend wirkt. Öfter wird der Geruch aber anfänglich leicht abstoßender oder indifferenter Natur sein, während er bestimmt erregend wirkt, wenn der Annährungstrieb schon mit anderen Mitteln über eine gewisse Reizschwelle hinausgekommen ist.


Als Beispiel für die Feinheit des Geruchssinns mancher Menschen sowie die Veränderlichkeit der von ein und derselben Person ausgestrahlen Riechstoffe diene folgendes: Ich habe ein siebzehnjähriges Mädchen in Behandlung gehabt, das oft eine leichte Temperaturerhöhung zeigte. Sooft diese auftrat, erkannte ihre Mutter das "Fieber" an dem Geruch, der ihr schon in einiger Entfernung an ihrer Tochter auffiel. Und obwohl niemand sonst den veränderten Geruch wahrnahm, konnt die "Diagnose" immer durch das Thermometer bestätigt werden.

Noch ein weiteres Beispiel ist so merkwürdig, dass ich es Ihnen nicht vorenthalten will: Eine mir bekannte junge Frau riecht an der Hautausdünstigung ihres Mannes (dessen Atem durch vieles Rauchen getrübt ist) seine jeweilige psychische Lage. Sie bezeichnet den von ihm ausgestrahlen Geruch als süss und frisch bei bei guter Stimmung, scharf bei Ermüdung, überaus scharf bei Ärger und großen Erregungen, im Allgemeinen als immer stärker werdend, je mehr sein seelisches Gleichgewicht gestört ist.


Ein anderer wichtiger Grund, der im Gegensatz zu den oben besprochenen absolut geschlechtsspezifisch ist, kommt nur dem weiblichen Geschlecht zu, und diesem nur in bestimmten Zeitabschnitten. Ich meine damit den zur Menstruation gehörenden Geruch.

Er ist in erster Linie an die monatlichen Genitalausscheidungen gebunden und hat - vom gelegentlichen, durch Zersetzung und Unreichlichkeit entstandenen, nöchst widerlichen Beigerüchen abgesehen - charakteristische Eigenschaften, die zwar allen Frauen gemeinsam sind, aber dennoch so in Nuance, Intensität und individuellen Eigentümlichkeiten wechseln können, dass ein bestimmt persönliches Gepräge daraus hervorgeht oder zumindest hervorgehen kann. Nun ist es selbstverständlich, dass der ganze Geruch durch die Kleider, und besonders durch häufiges Wäschewechseln, stark verdeckt wird. Nichtsdestoweniger ist er, besonders für Beobachter vom olfaktorischen Typus, wahrnehmbar, und zwar nicht nur als Geruch der genitalen Absonderungsstoffe, sondern bei vielen Frauen auch an den anderen vorerwähnten Ausscheidungen, namentlich an Schweiß und Ausatmungsluft, wo er sogar am stärksten seine persönliche Tönung erhält.

Auch den menstruellen Geruch kann man, wie den des Schweißes, in seiner Wirkung auf den Annährungstrieb in abstoßend, anziehend und bedingt anziehend einteilen. Die zweite Gruppe dürfte wohl sehr klein sein, die dritte größer als man denken würde, die erste bedenklich groß.


Der Geruch der Genitalien ist bei der Frau wie beim Mann geschlechtsspezifisch.

 Auch er hat in Nuance und Intensität eine persönliche Note. Mit der Einschränkung, dass diese zwar nicht so stark sein darf - was in der Regel auch der Fall ist - kann man sagen, dass der normale Genitalgeruch einen sexuell anregenden Einfluss auf den normal empfindenden Menschen des anderen Geschlechts ausübt. Dieser Einfluss kann aber bei unseren Lebensgewohnheiten erst zur Geltung kommen, wenn die sexuelle Intimität zwischen zwei Liebenden schon weit fortgeschritten ist.

Sobald der natürliche Geruch auch nur einigermaßen durch eine Beimischung infolge von Unreinlichkeit oder von abnormalen Absonderungen verdorben wird, wirkt er sofort in entgegengesetzter Richtung und erzeugt ausgesprochene geschlechtliche Antipathie.

Bei Frauen ist der Genitalgeruch deutlicher ausgeprägt als bei Männern. Besonders unter Einfluss der erhöhten Bereitschaft zum Coitus, welche sich in einer verstärkten Absonderung der in den äußeren Geschlechtsorganen mündenden Drüsen zeigt, steigert er sich - ebenso wie das übrigens bei einem gewissen Prozentsatz der Frauen mit dem Geruch der ganzen Ausdünstung, dem Eigengeruch, der Fall zu sein scheint - und kann den bestimmten Charakter eines spezifischen Reiz- und Lockmittels annehmen.


Zu den gattungsmäßigen Geschlechtsgerüchen gehört selbstverständlich der des männlichen Samens.

Auch ihm sind bestimmte Abtönungen eigen. Da begegnen wir zuallererst wieder Unterschieden bei den verschiedenen Rassen: das Sperma eines Orientalen riecht z.B. stärker als das einen Mitteleuropäers. Das Sperma eines gesunden westeuropäischen Jünglings riecht frisch, das eines Mannes durchdringend.

Der Spermageruch desselben Mannes soll aussagegemäß unter verschiedenen Umständen sehr verschieden sein. Nach physischen Erregungen riecht das Sperma mehr ätzend, nach körperlichen Anstrengungen eher würzig, bei rasch wiederholtem Coitus wird der Geruch flauer, aber schlechter. Man beschrieb ihm mir im Großen und Ganzen parallellaufend mit dem allgemeinen Ausdünstungsgeruch, wobei sich die Bezeichnung der Nuancen bei mehreren Frauen sogar in auffallender Weise deckte.

Dass der Geruch des Samens bedeutenden individuellen Schwankungen unterliegt, muss nach dem oben Gesagten als wahrscheinlich angenommen werden. Merkwürdigerweise findet der Arzt, der im Labor oft Spermauntersuchungen vorzunehmen hat, diese Voraussetzungen nur in sehr bedingtem Maße vor und fast ausschließlich in Bezug auf die Intensität. Das mag einerseits damit zusammenhängen, dass er bei derartigen Untersuchungen sein Riechorgan nach Möglichkeit ausschaltet, weil diese Geruchsempfindung ihm mehr oder weniger Ekel bereitet. Andererseits liegt die Ursache daran, dass sich der charakterische Spermageruch durch die Einwirkung von Luft und überhaupt durch den Verbleib außerhalb der männlichen Geschlechtsorgane (solange es sich noch in diesen Organen befindet, riecht Sperma kaum oder gar nicht) derartig verstärkt, dass dei individuellen Unterschiede verlorgengehen.

Indessen sind erfahrene Frauen über das Bestehen solcher Umstände keinen Augenblick im Zweifel. Ebensowenig über ihre Bedeutung: Ich kenne eine sehr begabte und fein veranlagte Frau, welche einem Liebesverhältnis ein jähes Ende setzte, als sich nach dem ersten Coitus herausstellte, dass sie den Eigengeruch dieses Mannes nicht aussehen könne.

Was im Allglemeinen die Wirkung des Samengeruchs auf die Geschlechtsgefühle betrifft, lässt sich sagen, dass er auf Frauen eine anregende, auf Männer eine abstoßende Wirkung ausübt. Doch sind die sich aufdrängenden Gedankenassoziationen dabei von so außerordentlicher Wichtigkeit, dass sie den primären Eindruck oft völlig verdecken. So löst der Geruch des eigenen Spermas bei den meisten Männern kein Gefühl des Widerwillens aus, der dem fremden Spermas dagegen eine entschiedene Ekelempfindung.

Einer Frau bereitet der Geruch des Samens des geliebten Mannes Wonne und (neue) Erregung, während der einem ungeliebten Partner entsammende Ekel erzeugt.


Von dem in der Scheide deponierten Sperma fließt gewöhnlich ein beträchtlicher Teile bald wieder ab. Der in der Scheide zurückbleibende Rest verliert seinen typischen ursprünglichen Geruch innerhalb kurzer Zeit.

Dagegen erhält die sich in der Vagina bildende Mischung aus männlichen und weiblichen Sekreten einen (schwächeren) eigentümlicheren Geruch, der sich in seiner Eigenart durch den Erfahrenen leicht als solcher erkennen lässt und für den Beobachter vom olfaktorischen Typus schon an den Kleidern und an der Wäsche wahrnehmbar sein kann.

Er hat auf beide Geschlechter eine anregende Wirkung, mit dem Einwand, dass auch hier wieder die Gedankenassoziation, die sich seine Wahrnehmung knüpfen - besonders wenn sie sich auf die Herkunft der Komponenten beziehen - den ursprünglichen Eindruck in ausschlaggebender Weise beeinflussen können.

Schließlich ist noch ein geschlechtsspezifischer Geruch zu erwähnen, der vielleicht nur selten in deutlicher Weise beobachtet werden kann, dafür aber in verschiedener Hinsicht so beachtenswert ist, dass er nicht unerwähnt bleiben sollte.

Es handelt sich um drei Frauen die - unabhängig voneinander - berichtet haben, dass ihr Atem einige Zeit (1/4 bis 1 Stunde) post coitum anfing, einen leichten Spermageruch aufzuweisen, der dann ein bis zwei Stunden lang bestehen blieb.

Ihnen selbst kam dieser Geruch nicht zum Bewusstsein, aber ihren Ehemännern war er aufgefallen. In zwei dieser Fälle gab das manchmal Anlass zur Wiederholung des Geschlechtsaktes.

Der eine dieser Männer erklärte sich (und mir) diese Tatsache so, dass die Beimischung eines leichten, von ihm herstammenden Geruchs zu dem persönlichen Atemduft seiner Frau und die sich ihm dadurch bekundende völlige Durchdringung des geliebten Wesens mit dem Produkt seiner Liebesbestätigung, zusammen mit der Erinnerung an die vorhin durchlebte Seligkeit, ihn dermaßen beglückte und entzückte, dass er von Neuem in Ekstase kam.

Diese Erklärung, nach welcher der Reizeffekt also durch eine Kombination von Gedanken und seelischen Empfindungen erreicht wurde, wobei der Geruch nur im Sinne der Auslösung dieser Assoziation mitwirkt, scheint mir durchaus überzeugend und wahrscheinlicher, als die Annahme einer direkten Erregung der Geschlechtsgefühle eines Mannes durch den doch homologen Spermageruch.

Überblicken wir das Gesagte, so sehen wir, dass der Geruchssinn auch bei den Kulturmenschen in wichtiger Beziehung zu den Geschlechtsgefühlen steht.

Im Allgemeinen wirken sexuellen und auch stärkere persönliche Gerüche auf Gebildete bei den ersten Annäherungsversuchen eher im negativen Sinne ein - erzeugen oder verstärken eine sexuelle Antipathie.

Sind aber schon gewisse Stufen der Annäherung überschritten, so können sie fördernd eingreifen und diese bei bestehender sexueller Erregung sogar nachhaltig verstärken. Immerhin kann auch eine weit fortgeschrittene geschlechtliche Wirkung durch anormale Gerüche noch gehemmt werden, besonders wenn diese Unreichlichkeit verraten.


Unter diesen Umständen ist es leicht verständlich, dass der Mensch schon von altersher seine Zuflucht zu natürlichen oder künstlich hergestellten Riechstoffen genommen hat, um die eigenen zu verbergen beziehungsweise zu verstärken.

Parfümerie und Geschlechtsgefühle

Der Gebrauch von wohlriechenden Präparaten verfolgt - physiologisch gedacht - verschiedene Zwecke, die sich in fünf Gruppen unterbringen lassen. Zwei davon (die zusammen eine erste Hauptgruppe bilden) sind allgemeiner Natur, die drei übrigen (eine zweite Hauptgruppe) haben einen sexuellen Grundzug.

Die erste Hauptgruppe, welche allgemeinen Zwecken dient, versucht einerseits unangenehme Gerüche der Umgebung durch Übertönung zu verbergen (was die Ausschaltung eines deprimierenden Einflusses bedeutet), andererseits auf das gesamte Nervensystem anregend zu wirken, weil die Wohlgerüche, in angemessener Verdünnung verwendet, nicht nur eine angenehme Geruchsempfindung zuwege bringen, sondern auch einen Reiz auf das zentrale Nervensystem ausüben, der die Aufnahme von sonstigen Eindrücken fördert und die Reaktionsfähigkeit erhöht. In diesem Sinne fehlt auch hier die Bedeutung für das Geschlechtliche nicht.

In der zweiten Hauptgruppe sind die Zwecke auf direktere Weise sexueller Art: Übertönung von abstoßenden, Verstärkung von anziehenden persönlichen Gerüchen bzw. deren Vortäuschung. Und neben diesen beiden, in der Hauptsache der Erhöhung des Annäherungstriebes des anderen dienenden Gruppen, eine weitere, deren Vertreter das eigene Geschlechtsgefühl reizen.

Die rationale sexuelle Parfümierung (die also den Zwecken der soeben genannten zweiten Hauptgruppe dient) hat über männliche und weibliche Odeurs zu verfügen, d.h. solche, welche den männlichen Eigengerüchen nahestehen, sie hervorheben, fixieren, ergänzen und dadurch die weibliche Sexualsphäre reizen, und solche, welche, mit den weiblichen Düften harmonierend, die Eigenschaft besitzen, die männlichen Gefühle zu erzeugen. Neben diesen Wohlgerüchen sind derartige anzuwenden, welche, als "negativ-männliche" und "negativ-weibliche" imstande wären, unangenehme Eigengerüche männlicher bzw. weiblicher Art zu neutralisieren. (2)

Das typische Beispiel eines männlichen Riechstoffes gibt die Natur im Moschus, der ausschließlich von dem männlichen erwachsenen Moschustier durch besondere, in der Nähe der Geschlechtsorgane gelegene Drüsen erzeugt wird, und zwar am meisten und am besten im Frühling, d.h. in der Brustzeit. Vom Moschus wird in den Parfümeriefabriken ein weit ausgiebiger Gebrauch gemacht, als man gemeinhin annimmt. Nur soll er (der einer der allerstärksten Riechstoffe ist, welche überhaupt bekannt sind) nicht anders als im sehr verdünnten Zustand und in Harmonie mit anderen Düften verwendet werden, weil viele Menschen, besonders Männer, einen Widerwillen gegen den Geruch zeigen, wenn er als solcher deutlich hervortritt.

Noch einen weiteren Riechstoff will ich als Beispiel nennen, nämlich den Lavendel, der zu den weiblich-negativen zählt. Schon die Araber des 16. Jahrhunderts kannten diesen Durft als Remedium gegen einen "üblen Geruch der Vulva". Und der ausgiebige Gebrauch, den unsere Großmütter von den getrockneten, lieblichen blauen Blümchen machten, indem sie diese in ihren Wäscheschränken in Säckchen zwischen die Unterwäsche legten, gibt (bedenkt man die geringere Zahl der damaligen Badezimmer und Bidets) zu denken.

Der Lavendelduft hat wirklich diese desodorisierende Eigenschaft, vorausgesetzt, dass die "üblen Gerüche" nicht zu stark sind, und insbesondere nicht von auffallender Unreinlichkeit oder von krankhaften Absonderungen herrührt. Mit anderen Worten: Lavendel zeigt eine neutralisierende Wirkung gegenüber einem überdeutlichen Eigengeruch der weiblichen Geschlechtsorgane, wahrscheinlich auch anderen weiblichen Gerüchen gegenüber, was die Vorliebe vieler Frauen für Lavendelbadesalz und Lavendeltoilettenwasser erklärt.

Falls das Parfüm jedoch wirklich die beabsichtigte Wirkung haben soll, muss es für den bestimmten Zweck sachkundig zusammengesetzt sein und richtig angewendet werden. Auch in dieser Hinsicht möge Lavendel als Beispiel dienen: Ein mit diesem Wohlgeruch hergestellter "Vinaigre de Toilette"  kann durch seine saure Reaktion die desodorisierende Wirkung (speziell in der Genitalgegend) verstärken, während in einem alkalischen Präparat (Seife!) die beabsichtigte Lavendelwirkung nicht zur Geltung gelangt, weil Alkali den Genitaleigengeruch verschärft.

Der Erfolg des Lavendels kann in Frage gestellt werden, wenn der Parfumfabrikant das "Lavender Water" unter Zufügung von Moschustinktur zusammenstellt, wie ich das in einem Rezept eines englischen Wasser angegeben fand, da der Moschusgeruch die Eigenschaft besitzt, andere Düfte, besonders auch Eigengerüche, zu fixieren und hervorzuheben.

Nun noch einige Beobachtungen allgemeiner Art:

Durch Alkali werden Genitalgerüche verstärkt, durch Säure werden sie geschwächt.

Kampfer, Amygadlin (Bittermandeln), Lavendel neutralisieren sowohl Genitalgerüche wie wahrscheinlich auch Eigengerüche.

Moschus fixiert, wenn in minimalen Mengen angewendet, sämtliche genitalen als auch die übrigen Eigengerüche und hebt sie hervor. In etwas weniger schwacher Konzentration gebraucht, übertönt er die anderen Riechstoffe vollständig, wobei seine Eigenart als "männliches" Parfüm stark in den Vordergrund tritt. Zu den übrigen, weniger spezifischen Übertönungsriechstoffen gehört z.b. das Pfefferminzkraut.

Bei jeder Anwendung von Fremdgerüchen ist darauf zu achten, dass diese nicht nur unter sich, sondern auch mit den Eigengerüchen des Anwenders/der Anwenderin harmonisieren und dass die Präparate jene Elemente enthalten, welche dem beabsichtigten Zwecke dienlich sind, nicht aber solche, die ihre Wirkung aufheben oder einen entgegengesetzten Einfluss ausüben.


Gesichtssinn

Den Gesichtssinn habe ich in seinen Beziehungen zu den Geschlechtsgefühlen nicht so ausführlich zu besprechen, wie den Geruchssinn.

Über das, was die Augen an sexuellen Reizen vermitteln, könnte ich im Großen und Ganzen ohnedies nur Altbekanntes wiederholen.

Wie groß die Bedeutung des Gesichtssinns für den Annäherungstrieb ist, braucht nicht eigens betont zu werden. Von Ausnahmen abgesehen, bringt er die ersten  - nicht selten entscheidenden - Eindrücke zwischen den Geschlechtern hervor.

Falls der Gesichtssinn dann auch noch später günstige Eindrücke übermittelt, bleibt in ihm ein Vermittler mächtiger Reize enthalten. Gibt es andererseits nicht viel Reizendes zur Wahrnehmung zu bringen, so lässt sich gerade dieser Sinn in oft erstaunenswerter Weise durch die Gewohnheit, durch den Willen oder durch Gedanken ausschalten und durch die Eindrücke anderer Sinne, und besonders durch seelische Einflüsse, überflügeln.

Die primären Geschlechtscharaktere, also die Geschlechtsorgane, reizen den erwachsenen Menschen durch ihnen Anblick relativ wenig. Erst wenn schon ein erheblicher Grad von sexueller Erregung besteht, kann ihre Betrachtung zur weiteren Steigerung beitragen.

Dagegen sind es die sekundären Geschlechtsmerkmale, welche den Annährungstrieb in bedeutendem Maße steigern.

Vor allem wirken dabei diejenigen körperlichen Eigenschaften mit, die eine möglichst große Befähigung zur Geschlechtsvereinigung und zu dem, was natürlicherweise darauf folgt, erkennen und vermuten lassen.

Deshalb wird der Mann durch gut geformte Brüste der Frau, die Frau durch den kräftigen Körperbau des Mannes, angezogen.

Dass bei der Wertung dieser Qualitäten auch das Schönheitsgefühl eine Rolle spielt, wird wohl niemand verneinen. Ausschlaggebend sind aber doch die anderen, regelrecht auf die Forderung des Lebens abzielenden Empfindungen, mögen sie nun zum Tagesbewusstsein durchdringen oder (wie gewöhnlich) nur un- oder unterbewusst bleiben.

Keinen geringeren Einfluss als der Anblick des Körperbaus hat der von Körperbewegungen. Sei es, dass die Bewegungen mit mehr oder weniger erotischen Absichten gemacht werden, wie dies teilweise beim Tanz der Fall  ist, sei es, dass sie sich un unabsichtlichen Linienspiel zeigen, wie bei dem oft besonders reizvollen, leicht rotierenden Gang der Frau - ihre große Bedeutung beim Annäherungstrieb steht außer Frage.

Schließlich ist auch  hier beim Anblick von Körperbewegungen wie bei den Gehörseindrücken die besondere Anregung der Geschlechtsgefühle durch den Rhythmus hervorzuheben.

Bekleidung

Nur in kälteren Regionen hat die Bekleidung den Zweck, die Eigenwärme zu bewahren. In wärmeren Ländern hatte sie ursprünglich keine andere Bestimmung, als den Körper zu schmücke, ihn anziehender zu machen und die Aufmerksamkeit auf bestimmte Teile zu lenken.

Die Kleidung der Männer bei den Kulturvölkern hat der Hauptsache nach immer den Absichten der nördlichen Völker entsprochen, d.h. dem wirklichen Bekleidungsprinzip (Kälteschutz) gedient. Nur hin und wieder findet man in der Geschichte eine Mode, welche offensichtlich den Zweck verfolgte, die spezifisch männlichen Kennzeichen hervortreten zu lassen, wie es wohl am auffälligsten geschah, als die Geschlechtsorgane in eigens dazu angebrachten Schamkapseln außerhalb der Trikothosen getragen wurden (etwa ab Mitte des 15. Jahrhunderts).

Anders die Frauenkleidung, die besonders in den letzten Jahren dem Grundsatz der südlichen Völker gerecht geworden ist, mit der Kleidung nicht die Bedeckung, sondern ausschließlich die Steigerung der Reize zu beabsichtigen. Von jeher hat sie übrigens, auch wo sie noch gegen Kälte zu schützen suchte, den Hang zu erkennen gegeben, die Körperdrapierung in erster Linie der Demonstration der sekundären Geschlechtsmerkmale dienlich zu machen. Denken wir z.B. an das Dekolleté, an das Korsett, dessen Modelll eine Zeit lang seinen Zweck, die Brüste hervorzuheben, in allzu buchstäblich wirksamer Weise erfüllte, an die Wespentaille, welche Brüste und Hüfte stärker zeigen sollte, als sie sein konnten. Erinnern wir uns an die "Tournure" aus den Achtzigerjahren, die anfänglich nur beabsichtigte, die Aufmerksamkeit auf die runden Fettpolster des weiblichen Gesäßes zu lenken, welche, zu den typischen sekundären Geschlechtsmerkmalen der Frau gehörend, gewiss einen wichtigen Reiz bilden, schließlich aber in ihrer maßlosen Übertreibung den Damen der besseren europäischen Gesellschaft eine verzweifelte Ähnlichkeit mit den Hottentottenfrauen (3) gab.

In geschlechtlicher Hinsicht besonders raffiniert zeigt sich die Mode, wenn sie, wie in der Directoirezeit, nicht nur möglichst viel unbedeckt lässt, sondern das, was sie verhüllt, durch die Verwendung von sehr leichtem, sich an den Körper völlig anschmiegenden Stoffen in Form und Bewegungen so sehen und weiter erraten lässt, dass es erotisierender wirkt, als wenn es gänzlich entblößt wäre.


Weit weniger wichtig für die Geschlechtsgefühle als die Eindrücke persönlicher Herkunft sind diejenigen, welche der Gesichtssinn von der unpersönlichen Außenwelt erhält.

 Was uns von Geschriebenem, Gedrucktem, Gemaltem oder Geformten Eindrücke persönlicher Art übermittelt, ist hier selbstverständlich nicht gemeint; es wirkt nur durch Zwischenschaltung der Vorstellung des Persönlichen.

Aber das völlig Unpersönliche kann doch bestimmt auch geschlechtlich wirken. Die Zahl der gesund fühlenden Menschen, welche durch den Anblick einer schönen Landschaft sexuell erregt werden, ist keineswegs klein. Die der Normalen, für welche derartige Reize von Farben oder Linien ausgehen, ist zwar kleiner, aber zweifelsohne da.

Der Tastsinn

Der Tastsinn ist für die Geschlechtsgefühle wohl der wichtigste aller Sinne.

Er hat seinen Sitz in der ganzen Haut und in den der Haut nahe liegenden Partien der Schleimhäute, doch sind lange nicht alle Hautstellen in dieser Hinsicht gleichwertig.

Für unsere Besprechung empfiehlt es sich, die von den Nervenendigungen der Paarungsorgane aufgenommenen Reize von denen, die der eigentliche Tastsinn übermittelt, zu trennen, um erst in späteren Abschnitten an sie heranzugehen, und weiter, ein aktives und ein passives Tastgefühl zu unterscheiden.

Als aktiv wollen die dann denjenigen Gefühlssinn betrachten, welcher die Eindrücke aufnimmt, die bei Betastung eines Gegenstandes in den betastenden Körperteilen entstehen. Als solche kommen dabei nur die Hände, besonders die Finger, und von diesen wieder die Spitzen, sowie die Zungenspitze in Betracht, während den Fußsohlen und den Zehen, auch beim Barfußgehen, in dieser Hinsicht nur eine ganz untergeordnete Bedeutung zukommt. Den Lippen muss eine Mittelstellung eingeräumt werden, da bei ihnen aktives und passives Tastgefühl als gleich wichtig zu erachten sind und bei ihrer bedeutensten sexuellen Funktion (von ihrer Mitwirkung beim Sprechen abgesehen) beide Arten des Fühlens zusammen in gleichwertiger Weise zur Geltung gelangen. Von dieser Funktion aber, vom Küssen, wollen wir in einem späteren Abschnitt reden. Das passive Tastgefühl, das Gefühl, das die betasteten Stellen des Körpers übermitteln, hat seinen Sitz in allen übrigen Teilen der Haut und in den angrenzenden Teilen der Schleimhäute. Außerdem können bei gewisser Intensität der Betastung in unter der Haut gelegenen Schichten und Organen Gefühlseindrücke entstehen, die mit den hier angesprochenen verwandt und verbunden sind.

Was die Beziehung des passiven Tastgefühles zur Sexualsphäre angeht, lässt sich sagen, dass - eine günstige psychische Einstellung vorausgesetzt - die Reize, welche die betasteten Stellen empfangen, eine sexuell erregende Wirkung ausüben können. Diese ist umso größer, je nachdem der Reiz an geeigneten Orten, in geschickter Weise, mit genügender Abwechslung, angewendet wird und körperliche und seelische Empfänglichkeit besteht (welche durch Übung und Erfahrung gesteigert wird).

Als eine Eigentümlichkeit dieser Stellen ist zu erwähnen, dass sie hauptsächlich in der Umgebung der Körperöffnungen liegen. Das ist insofern auffallend, als nicht nur die Umgebung von Genitalien, sondern auch die des Anus und von Mund (gemeint ist die weitere Umgebung des Mundes, im Gegensatz zu den Lippenrändern) und Nase solche Bereiche darstellen. In geringerem Maße gilt dies auch für die laterale Umgebung der Augenhöhlen und die um die Gehöröffnungen gelegenen Teile.

Tatsächlich bilden die Ohrdeckelchen und der Ohrrand bei manchen Menschen eine erogene Zone, zu welcher auch das Ohrläppchen gehört. Allerdings sind für diese Teile gewöhnlich stärkere Reize (vorzugsweise durch leichtes Saugen) zur Erzielung des sexuell erregenden Effekts nötig.

Brüste

Eine ganz eigene Stellung nimmt die Sensibiliät der Brüste und insbesondere der Brustwarzen ein.

Leichtes Kneifen und Kneten der ganzen Brust mit der vollen Hand versetzt die Frau in beginnende sexuelle Erregung.

Reizung der Warzen mit dem Finger oder mehr noch mit Zunge und Lippen kann nicht nur die Brustdrüse in eine gewisse Reaktion versetzen (indem sich die Blutzufuhr vermehrt, der Turgor erhöht, eventuell die Sekretion verstärkt) und die Brustwarze, sogar mit einem Teil des Warzenhofes, zum Zusammenziehen und Versteifen bringen. Sie übt auch eine regelrechte Reflexwirkung auf die Geschlechtsorgane aus, die sich u.a. durch Zusammenziehen der Gebärmutter bemerkbar macht.

Die Einwirkung dieser Warzenreizung auf die Geschlechtsgefühle ist dabei besonders stark.


Das aktive Tastgefühl lässt deutliche, mitunter selbst große sexuelle Erregungen zustandekommen, wenn die Betastung eines menschlichen Körpers mit erotischen Absichten oder wenigstens bei dafür günstiger Einstellung des Unterbewusstseins stattfindet.

Ist die Seele darauf abgestimmt, so kann die leiseste, zufällige Berührung einen Liebesschauer verursachen.

Besteht dagegen Gleichgültigkeit dem Objekt gegenüber, oder werden Assoziation erotischer Art - sei es durch den Willen oder durch ablenkende Gedanken - am Aufkommen verhindert oder zurückgedrängt, so kann auch eine länger andauernde Betastung der Geschlechtsorgane selbst stattfinden, ohne dass der aktive Tastsinn dabei imstande wäre, erotische Gefühle auszulösen.

Bei mittlerer psychischer Einstellung aber sind die Vorbedingungen dafür gegeben, dass das aktive Tastgefühl umso stärker sexuell erregende Eindrücke übermittelt, als das geschlechtliche Gepräge der betasteten Köperstelllen deutlicher hervortritt.

Wir sehen somit, dass der Tastsinn für die Geschlechtsgefühle der wichtigste von allen Sinnen ist - dass besonders er aber eine geeignete psychische Einstellung als Unterlage braucht, weshalb er auch erst in Wirkung treten kann, wenn bereits eine gewisse Annäherung vorangegangen ist.


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(1)

"Lieben heißt, Genuss daran zu finden, ein liebenswürdiges und uns liebendes Objekt mit allen Sinnen zu sehen, zu berühren, und so nahe wie möglich zu fühlen"

Stendhal, "Über die Liebe", Buch 1, Kap. 2


(2)

Es sind somit vier Arten von sexuellen Parfümen (einschl. wohlriechende Toilettenartikel), welche ihre Dienste zu leisten haben, wenn die Zwecke der dritten und vierten Gruppe erreicht werden sollen.

Für die fünfte Kategorie (welche eine Reizung der eigenen Geschlechtsgefühle beabsichtigt) sind keine speziellen Mittel nötig, da die Frau hierzu von den "männlichen", der Mann von den "weiblichen" Gerüchen Gebrauch machen kann.

Diese Gruppe bleibt deshalb für die Herstellung von sexuellen Parfümen außer Betracht.


Dekolleté

Korsett

Tournure

(3)

"Hottentotten" war eine Samelbezeichnung für die Völker der Khoihoi in Nambia und Südafrika.

Die Frauen haben den typischen "Fettsteiß".