Sexuelle Liebe in der
Superehe



Teil 4: Hygiene in der Superehe




Kapitel 9:
Seelische Hygiene

Hygiene heißt Gesundheitspflege.

Man pflegt die Gesundheit eines Organismus hauptsächlilch auf zweierlei Weise:

Erstens, indem man seine normalen Lebensverrichtungen zu vervollkommnen sucht.

Zweitens durch Bekämpfung von schädlichen Einflüssen, die ihn bedrohen.

Dabei ist zu bedenken, dass die erreichte Vollkommenheit der Lebensverrichtungen, weil sie die Widerstandsfähigkeit des Gesamtkörpers verstärkt, wesentlich zur Überwindung der sich bemerkbar machenden Schädlichkeiten beiträgt. So haben denn die Bestrebungen, eine möglichst große Funktionstüchtigkeit zu erreichen, bei der Gesundheitspflege einen doppelten Wert.

Doch solche Bestrebungen dürfen nicht zu einer Übertreibung in der einen oder anderen Richtung führen, weil die Gesamtheit sonst statt Nutzen einen Nachteil empfinden würde. Fasst man die Superehe eines Liebespaars als Organismus auf und betrachtet man diesen zusammen mit dem in der vorliegenden Abhandlung Gesagten im Lichte dieser hygienischen Leitsätze, so wird deutlich, dass wir hier versucht haben, die physiologisch-technischen Grundlagen zu schaffen, die es ermöglichen, die wichtigste Funktion dieses Organismus, den Geschlechtsverkehr, zu jener Vollkommenheit zu bringen, die ihm wegen seiner fundamenten Bedeutung zukommt.

Wir haben desweiteren eingehend betrachtet, wie Schäden, die bei oder infolge der Ausübung dieser Funktion für die an ihr Beteiligten entstehen können, zu vermeiden sind, und haben schließlich jedesmal, wenn sich die Gelegenheit bot, darauf hingewiesen, dass die Vervollkommnung dieser Funktion nicht zu übermäßigen körperlichen Ansprüchen der Beteiligten oder eines der Beteiligten führen darf.

Ebenso haben wir die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass der Geschlechtsverkehr nur solange günstig auf die Psyche (Stimmung, geistige Leistungsfähigkeit) der Liebespartner einwirkt, als er ihren allgemein-körperlichen und speziell-geschlechtlichen Kräften entspricht.


Noch einmal: Ein Zuviel schadet auch in dieser Hinsicht und beeinflusst besonders den Mann ungünstig. Eine starke sexuelle Betätigung und intensive intellektuelle Arbeit verhalten sich bei vielen Menschen (namentlich bei vielen Männern) als Antagonisten, die beiden an der Superehe eines geistigen Schwerarbeiters Beteiligten haben hierauf Rücksicht zu nehmen.

Damit sind wir bei demjenigen der obigen Grundsätze angelangt, der uns sagt, dass es nie gut sein kann, eine der Funktionen eines lebenden Organismus, sei es auch die wichtigste, zu der in solchem Grade überherrschenden zu machen, dass die übrigen - und damit das Ganze - darunter leiden.

Auf die Hochehe übertragen bedeutet das, dass die zur höchsten Entwicklung gebrachten sexuellen Beziehungen der Liebespartner die Intensität ihrer Geistesgesellschaft, die gegenseitige Teilnahme am Seelenleben des Partners, nicht beeinträchtigen dürfen, und dass also die Verstärkung jener ehelichen Funktionen mit einer entsprechenden Kräftigung dieser einhergehen muss.

In der Regel ist das eo ipso der Fall.

In der Superehe bleiben die Beiteiligen, gerade durch die starke Entwicklung ihres erotischen Verhältnisses, Liebespartner, Liebende. Und Liebende sind psychisch völlig aufeinander abgestimmt. Von dieser Seite wird die Gesundheit des Ganzen nicht oft bedroht. Im Gegenteil, die Gefahr entsteht eher aus einem Zuviel an Zeichen der psychischen Anhänglichkeit und Abhängigkeit, weil die Empfänger dadurch auf Dauer ermüdet werden.

Lassen Sie deshalb bei aller Liebe, bei aller Anhänglichkeit, bei aller Geistesgemeinschaft, bei der größtmöglichen Teilhabe am Denken und Fühlen Ihres Partners, einander auch noch genügend Freiraum und Ruhe!

Man bedenke auch Folgendes: Wenn jeder geschlechtliche Wunsch in Erfüllung geht, entsteht die Gefahr des Überdrusses, denn dieser folgt jeder restlosen Wunschbefriedigung.

Er macht sich über kurz oder lang in den gewöhnlichen ehelichen Sexualbeziehungen bemerkbar. Auch die Superehe ist dagegen nicht gefeit. Mag ihr "harmonisches, blühendes Geschlechtsleben" mit seiner regen, abwechslungsreichen Tätigkeit auch nicht durch Langeweile, die einförmigen Beziehungen anhaftet, bedroht werden, so trägt gerade die Vollkommenheit, womit die Superehe auch das Letzte an Wünschen zu erfüllen vermag, den Keim zur Übersättigung in sich.

Diesem wahrhaft tragischen Geschick vorzubeugen, ist eine Aufgabe, die zu den allerwichtigsten auf dem Gebiet der seelischen Gesundheitspflege gehört. Diese Gesundheitspflege hat dafür Sorge zu tragen, dass der Überdruss vermieden wird, indem sie zu geeigneten Zeitpunkten taktvolle Zurückhaltung auferlegt und dadurch eine restlose Befriedigung sämtlicher Wünsche verhindert.

Für den Mann bildet Balzacs Warnung "Der Gatte, der seiner Frau nichts zu wünschen übrig lässt, ist ein verlorener Mann", auch in diesem Sinne einen beachtenswerten Rat.

Doch auch die Frau darf nie vergessen, dass eine Übertreibung in dieser Richtung die Superehe erst recht gefährden kann, und dass es besonders auch auf die Art und Weise der Zurückhaltung ankommt. Außerdem sollte die Zurückhaltung zu einem anderen Zeitpunkt durch eine gewisse Initiative wieder gutgemacht werden.

Bei diesem ganzen, für die Gesundheitspflege der Superehe sehr wesentlichen Wechselspiel von Zurückhalten und Geben, von Zögern und Nehmen, treten die bezaubernden Eigenschaften der echten Frau besonders in Erscheinung, und auch hier zeigen sich eheliche Koketterie und Flirt in ihrem vollen Wert.

Eine ganz andere Bedeutung hat die Zurückhaltung, wo es gilt, eine auf die Dauer bestimmt ungünstig auf das Verhältnis der Liebespartner einwirkende banale Intimität zu vermeiden. Auch zu diesem Punkt hat Balzac wieder etwas Treffendes gesagt: "Der Mann, der das Toilettenzimmer seiner Frau betrifft, ist entweder ein abgeklärter Weiser oder ein Dummkopf".


Wir haben damit einen Punkt erreicht, der zwar für die Superehe ebenso große Bedeutung hat wie für 08/15-Beziehungen, doch für diese Form der Ehe nicht spezifisch ist. Kehren wir nun zu dem Ehetypus zurück, um den es auf den vorhergehenden Seiten ging, und fragen uns, ob das, was sein Charakteristikum bildet - die Erweiterung, Verstärkung und Verfeinerung der geschlechtlichen Beziehungen zwischen den Liebespartnern - neben den Vorteilen in Gestalt des vermehrten Glücks nicht auch Nachteile aufzuweisen hat. Tatsächlich wären die Glücksgefühle, welche die Superehe bieten kann, zu teuer erkauft, wenn sie das psychische Gleichgewicht der Partner, ihre seelische Ruhe, auf anderem Gebiet belasten würden.

Bei asketisch veranlagten oder die Askese anstrebenden Menschen würde dies der Fall sein. Sie halten ein derartiges Glück für verwerflich, weil es ihren Begriffen der "Reinheit" widerspricht.  Gewisse Gruppen christlicher Ausrichtung gehen in dem Bestreben, sich von irdischen Wünschen zu befreien, ziemlich weit oder gar zu weit. Das Thema der Erbsünde spielt ebenfalls hier herein. Für andere kommen religiöse Bedenken nicht in Betracht...


Alles in allem kommt die Superehe für Menschen, die ihren inneren Frieden oder sogar ihr Glück in einer ausschließlichen Durchgeistigung des Lebens und der Loslösung vom Irdischen zu finden hoffen, wegen der damit verbundenen Askesetendenzen nicht in Frage. Jenen aber, die nicht diesen extremen Trendenzen huldigen, meine ich, aufgezeigt zu haben, dass Religion und Superehe keinesfall im Widerspruch zueinander stehen, un dass sie durch beide beglücken lassen können, ohne dabei ihre seelische Gesundheit durch innere Konflikte zu beeinträchtigen.

Eine Voraussetzung ist jedoch unabweisbar.

Die Superehe muss in ihrem wahren Sinn aufgefasst werden.

Dieser wahre Sinn liegt in der Liebe - in der seelischen Liebe, oder besser und richtiger ausgedrückt, in der Vereinheitlichung von seelischen und körperlichen Komponenten der geschlechtlichen Liebe.


Wer in der Vervollkommnung der Technik des Geschlechtsverkehrs einen Selbstzweck sieht, irrt sich gewaltig, und wird ebenso sicher Enttäuschung erleben, wie ohne eine solche Vervollkommnung.

Denn dieser Verkehr ist kein Zweck, sondern das allerdings unerlässliche Mittel zum Zweck.

Die noch so verfeinerte Sinnlichkeit an sich kann niemals wirklich befriedigen, weil ihr das Höhere, das Seelische, fehlt, das der Mensch verlangt, und das er immer suchen muss. Kein ästhetisch empfindender Mensch wird auch nur einen Augenblick daran denken, sich von bloßer Sinnlichkeit Glück zu erhoffen. Kein solcher Mensch wird sich dazu hergeben, ein Liebesspiel wie das der Superehe zu spielen, ein Nachspiel auszuführen, wenn nicht die Liebe, die eigentliche Liebe, ihn treibt. Ohne dies wäre ihm das einfach unmöglich, weil er einen förmlichen Widerwillen empfinden würde.

Was Mann und Frau, was Liebespartner in ihrer innigsten körperlichen Vereinigung erreichen wollen, was sie - bewusst oder unbewusst - als den unmittelbaren Zweck dieser Vereinigung empfinden, ist:

für ein Vollkommen-Einswerden eine Ausdrucksfähigkeit zu haben.

Diese Ausdrucksmöglichkeit ist die einzig vollständige, die ihnen zu Gebote steht. Dabei darf der Ausdrucksweise nichts fehlen.

Das zu erreichen und diese Ausdrucksmöglichkeit auf im Verlauf der Jahre ungeschmälert fortbestehen zu lassen, dazu verhelfe Ihnen die Superehe"


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